- Spinoza: Geometrische Methode
- Spinoza: Geometrische MethodeEine Methode ist umso wirksamer, je konsequenter man sie anwendet. Und von Vorurteilen, Traditionen und Denkbildern darf man sich nicht ablenken lassen. Dies hatte René Descartes dargelegt. Spinoza wollte noch weiter gehen und aus wenigen, stetig wachsenden sicheren Sätzen eine Theologie und Metaphysik hervorgehen lassen, die schließlich in eine Ethik einmündet. Spinoza stammte aus einer jüdischen Familie, die aus Portugal nach Amsterdam ausgewandert war, weil in Holland größere Toleranz gegenüber Juden und Religionsfreiheit herrschten. Nach einer gründlichen Ausbildung als Brillenschleifer arbeitete er in diesem Beruf. Nicht nur war die Herstellung optischer Gläser ein blühendes Gewerbe, auch die Optik war ein hoch aktueller Zweig der Naturwissenschaft. Spinoza - auch ausgebildeter Rabbiner - hielt sich nicht an die Regeln und Lehren der jüdischen Religion. Vor allem die Unsterblichkeit der Seele und die Auserwähltheit des Volkes Israel hatte er bestritten und wurde deshalb 1656 aus der jüdischen Gemeinde von Amsterdam ausgeschlossen. Seine Freunde fand er dann in liberalen christlichen Kreisen.Unter dem Eindruck der Prinzipien des Descartes entstand Spinozas Hauptwerk, die »Ethik nach geometrischer Methode begründet«, die allerdings erst postum um 1677 erschienen ist. Geometrisch nennt sich jene Methode, weil sie sich über Descartes hinaus die Geometrie des Euklid zum Vorbild nahm, in der nur solche Sätze aufeinander folgen, die sich entweder durch sich selbst erklären oder folgerichtig aus vorhergehenden Sätzen abgeleitet sind; zum Beispiel: »Ein Punkt ist, was keine Teile hat«. Solche Sätze werden als Definitionen, Axiome, Lehrsätze und Beweise klassifiziert. Folgerichtig beginnt Spinoza mit den Definitionen, die den »höchsten« metaphysischen Begriff, nämlich »Gott« betreffen: »Ursache seiner selbst«, »endlich«, »Substanz«, »Attribut«, »Gott«, »frei«. Auf diese Weise will Spinoza auch die Identität Gottes mit der Natur und - von hier ausgehend - das Wesen des Geistes, die Seele des Menschen, die Kräfte seines Verstandes und seine Freiheit beweisen.Dieses Verfahren bringt es mit sich, dass jeder Dualismus ausgeschlossen wird. So wie Gott nichts anderes ist als die von ihm getragene Natur, so ist er auch die Substanz schlechthin, und alle Substanzen der Scholastik sind bloße Aspekte an dem Einen. Folglich muss alles nach Regeln und Gesetzen geschehen, denn Gott ist keine willkürlich entscheidende Person. In dieses Ganze ist auch der Mensch eingebunden, dessen Vernunft es ihm erlaubt, sich durch das Denken von den Affekten, den vorrationalen Leidenschaften zu befreien. Der menschliche Verstand kann die Notwendigkeit der Dinge erkennen und empfindet sie daher nicht als Leiden. So verwirklicht sich das neuplatonische Renaissanceideal der Vereinigung mit Gott durch die Vernunft in der Form, dass der Verstand Gott als Gesetz in der Natur erkennt und liebt. Darin besteht das Ziel der Ethik.Spinoza nimmt in seinen Schriften die Diskussionen um die Substanzlehre der späten Scholastik auf und monopolisiert sie für Gott, so wie es fast 100 Jahre zuvor schon Giordano Bruno getan hatte. Die Spekulationen über die Wirksamkeit Gottes und die Beseeltheit der Welt setzt er ein, um jegliche Transzendenz in ein streng immanentes Prinzip umzudeuten: Gott wird zur immanenten Ursache aller Dinge. Der neuplatonischen Lehre von der Weltseele und vom Eros als dem Prinzip, das Weltgestaltung und menschliches Verhalten verbindet, leistet Spinoza in diesem Zusammenhang Argumentationshilfe. Gleichzeitig übernimmt er von Thomas Hobbes den Grundsatz der Selbsterhaltung im egoistischen Kampf »aller gegen alle«, der für das Universum wie für jedes seiner Teile und den Menschen gilt. Hierauf die kartesische Methode des Rückbezuges auf das »Ich« angewendet, entstand ein System von unentrinnbarer Geschlossenheit.Das führte dazu, dass Spinoza vorwiegend aus der Opposition heraus fortwirkte. Die Abgeschlossenheit seiner theologischen Ethik wurde als entschieden antireligiös aufgefasst, sodass im 18. Jahrhundert der Begriff »Spinozismus« mit dem politisch gefährlichen Verdacht des Atheismus und des Freigeistlertums behaftet war.Prof. Dr. Paul Richard BlumGeschichte der Philosophie. Mit Quellentexten, begründet von Karl Vorländer. Neu herausgegeben von Herbert Schnädelbach u. a. Band 2 und 3. Reinbek 1990.Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, herausgegeben von Rüdiger Bubner. Band 3: Renaissance und frühe Neuzeit, herausgegeben von Stephan Otto. Neudruck Stuttgart 1994.
Universal-Lexikon. 2012.